Versammlung

«Ich be­grüs­se alle An­we­sen­den zur 80. Ge­ne­ral­ver­samm­lung des Fa­mi­lien­gar­ten­ve­reins Stern­matte, ganz be­sonders un­sere Neu­mit­glie­der.» Der Prä­sident blickt zu uns. Meine Herz­dame lächelt zurück. «Jetzt schau doch mal die Leu­te an.» Aber ich blei­be fo­kus­siert. «Der Kel­lner darf mir nicht entwischen. Da­mit ich hier durch­halte, brau­che ich Essen.» Der Prä­si­dent fährt fort: «Trak­tan­dum 1: Wahl der Stim­men­zähler.

«Die Brat­wurst zu mir!» Ich win­ke dem vor­bei­ei­len­den Kell­ner zu. Er reicht mir die Wurst, und der Prä­si­dent zeigt stolz auf mich: «Ein Neu­mit­glied stellt sich als Zäh­ler zur Ver­fü­gung.» Der gan­ze Saal staunt. «Ich ha­be schon im Stän­de­rat ge­zählt», recht­fer­tige ich mich. Der Saal tu­schelt über den vor­lau­ten Neu­ling. Und mei­ne Herz­dame schnappt sich die Wurst. «Du nimmst das ve­ge­ta­ri­sche Me­nü, als Stim­men­zäh­ler musst du be­weg­lich blei­ben.»

Es gibt viel ab­zu­stim­men. «Un­ser Beiz­li soll eine Stun­de län­ger of­fen blei­ben.» Hän­de ge­hen nach oben, ich zäh­le eif­rig und mel­de: «Wie­der 17 Stim­men von hier.» Köpfe dre­hen sich nach mir um. Mei­ne Herz­dame klärt mich auf: «Al­les wird ein­stim­mig an­ge­nom­men. Du bist der Ein­zige, der noch zählt.»

Der Re­vi­sor be­an­tragt, dem Vor­stand De­char­ge zu er­tei­len. Ich will noch «Ab­zocker» rufen, aber meine Herz­da­me zieht mich zum Aus­gang. «Ge­hen wir, be­vor sie uns aus­schlies­sen.» – «Aber es kom­men noch Gar­ten­tipps.» – «Ich ha­be schon drei von un­se­ren Tisch­nach­barn zum The­ma Kom­post.» – «Und wel­che?» – «Drei ge­gen­sätz­li­che. Jetzt strei­ten sie mit­ei­nan­der.»

publiziert im Journal 2-13