Morgentram

«Aufrücken bitte!» In den vollen Tramwaggon drängt ein knappes Dutzend Wir-sind-auch-Fahrgäste. Nach menschlichem Ermessen hat es eigentlich keinen Platz mehr. Schon gar nicht, wenn man bereits frühmorgens auf einer gewissen Menschenwürde besteht. Doch erstaunlicherweise passen auch diese ÖV-Unterstützer noch irgendwo hinein. Die Mischung der verschiedenen Düfte, künstlichen und menschlichen Ursprungs, hat etwas Abenteuerliches.

«Du musst Gregor mailen, dass wir den Deal mit DschiWaiSi noch postponen.» In den Morgentrams steht immer mindestens ein mit dynamischer Brille versehener Handybesitzer und hat eine wichtige Mitteilung an seine Mitarbeitswelt weiterzugeben. Und an alle Mitfahrenden, denn Wichtiges muss immer laut in den Hörer gebrüllt werden.

«Entschuldigung!» Ein Tonnen schwerer Bleiwürfel wurde in meinen Rücken gerammt. Ich drehe mich um, soweit es die beengten Verhältnisse zulassen. Das vermeintliche Schwermetall entpuppt sich als gigantische Sporttasche. Immerhin hat sich ihr Besitzer entschuldigt. Bis er beim Ausstieg angelangt ist, kann er seine Höflichkeit noch mehrmals zur Anwendung bringen.

Ich versuche, in seinem Kielwasser mitzuschwimmen, denn ich muss bald aussteigen. Als das Tram hält, habe ich es beinahe bis zur Türe geschafft. Hier entleert sich der halbe Wagen. In einer Menschenwelle werde ich auf die Strasse geschwemmt.

Der Vorteil eines frühen Arbeitsbeginns ist, ungestört Wichtiges erledigen zu können. Bis die Arbeitskollegen eintreffen, lege ich mich auf meine Isomatte schlafen. Ich muss mich von der Anfahrt erholen und mich auf die Heimfahrt vorbereiten.

publiziert im Journal 6-05