Schnee
Tasächlich! Soweit es am frühen Morgen meine Sehkraft und die Lichtverhältnisse überhaupt zulassen, kann ich beim Blick aus dem Fenster mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit behaupten: Es hat geschneit. Der gestern noch grüne Rasen und die grauen Strassen liegen nun einheitlich weiss draussen herumn.
Diese ästhetische Umgebungswandlung hat auch praktische Konsequenzen. Also Handschuhe und Schal gegen die Kälte und Schuhe mit grobem Profil für die Stabilität montiert. Sonnenbrille brauche ich ja – Hochnebel sei Dank – selten.
Auf der steilen Aussentreppe vor dem Haus seile ich mich dem Geländer entlang über das gefährliche Schneefeld ab. Ich warte ja nur darauf, dass jemand ein Pendant zu den Laubbläsern für Schnee entwickelt. Dann behutsamen Schrittes über die schön glatt gefahrene Strasse den eisigen Abhang zur Tramstation hinunter. Das dann schon im leichten Trab – wie immer.
Wie in manchen Restaurants das Essen so sind auch Zürichs Strassen und Trottoirs gut gesalzen. Und ähnlich ungeniessbar sieht das Resultat auch hier aus. Langsam zerfliesst die einst weisse Decke zu braunem Matsch. Und diesen bekommt man von vorbeibrausenden Individualverkehrern in hohem Bogen auf die Kleider gespritzt.
Mit gebührendem Sicherheitsabstand zur Strasse erreiche ich ungewöhnlich pünktlich meine Haltestelle. Gerade rechtzeitig, um zu erfahren, dass ich mich eigentlich nicht hätte beeilen müssen. Das Tram kommt nicht. Dafür erschallt per Lautsprecher eine meiner Lieblingsformulierungen in der deutschen Sprache: «Streckenblockierung wegen Fremdkollission im Gleisbereich».
publiziert im Journal 1-06