Kopfschutz
Klimakatastrophe sei Dank kam ich dieses Jahr zu einem Schneesporttag im März. Der intensive Spätwinter lockte mich in die Berge. Bepackt mit meinem Brett –ich bin bekennender Snöber – begab ich mich an den Fuss eines nahen Skigebiets und spurte miche in in die Menschenschlange an der Seilbahn. Aber etwas an meinen Mitwartenen war seltsam –etwas Ungewohntes, das ich aber zunächst nicht zu deuten wusste.
An der Bergstation angekommen ergossen wir uns gemeinsam auf die Piste. Und hier wurde es mir endlich bewusst: Überall um mich herum statt Köpfe nur Helme.
Seit langem schon wird der alpine Ski- und Snowboardnachwuchs von seinen Eltern durch Helme geschützt. Doch nun ist aus dem Schutz ein Lifestyle geworden. Etwa die Hälfte der Pistenbevölkerung stülpt sich eine Kugel über den Halsaufsatz. Mit passender Brille und Hose – versteht sich.
Doch ob das so behütete Denkorgan immer dermassen schützenswert ist, muss ich oft bezweifeln. Denn meist entspricht die Vorsicht dem eigenen Körper gegenüber nicht derjenigen gegenüber anderen. Im Gegenteil: Der Helm scheint eine Art Unverwundbarkeitsaura zu verleihen. Mit Höchstgeschwindigkeit stürzen sich die Behelmten alwärts.So knapp an mir vorbei, dass ich deren windkanaloptimierte Turbulenz des Todes in meinem Nacken spüre. Aber vielleicht wollen sie ja nur schnell unten sein, um die Schale wieder ausziehen zu können.
Auf der Heimfahrt treffe ich dann auf dem Zugperron auf ein Relikt aus früheren, idealistischeren Zeiten. Barfuss mit Fussglöckchen im lila Wickelkleid studiert ein in Ehren ergrauter Althippie den Fahrplan. Auf dem Kopf trägt er – einen Velohelm.
publiziert im Journal 2-06