Kleines Geschäft
Ich sitze mit meiner Herzdame in einem neuen Lokal, als mich ein dringendes Bedürfnis befällt. Suchend irre ich zwischen Tischen und Tresen umher. In zunehmender Verzweiflung folge ich schliesslich einem Pfeil und erreiche tatsächlich die gesuchte Örtlichkeit. Statt einer Klinke besitzt diese aber eine Tastatur – «Code bitte an der Bar verlangen».
Mit der Zahlenkombination im Kopf und einem stärker werdenden Druck tiefer unten kehre ich zurück. Von den abstrakten Türbeschilderungen wähle ich mit Glück die männliche und gelange endlich an den stillen Ort.
Deutlich entspannter stelle ich mich nun der Herausforderung des Händewaschens. Mit einem logischen Ausschlussverfahren entscheide ich, dass die schräge Röhre in der Wand ein Wasserhahn ist. Beim Nähertreten entdecke ich auch das Plexiglaslavabo.
Nach Reglern suche ich erst gar nicht. Blind vertrauend halte ich meine Hände unter das Chromstahlgebilde. Für zehn Sekunden sprudelt Wasser heraus. Bis ich auf meiner Suche nach Seife bemerke, dass diese ebenfalls aus demselben Rohr tropft, ist diese Quelle versiegt. Ich warte den folgenden Wasser- und Heissluftstrahl ab, um dann den ganzen Prozess zu durchlaufen.
Hinaus komme ich nicht mehr. Ein Display teilt mir mit, dass ich die maximale Aufenthaltsdauer überschritten habe. Aus Sicherheit wurde die Türe darum elektronisch verriegelt. Bereits nach eineinhalb Stunden befreit mich der herbeigerufene EDV-Spezialist.
publiziert im Journal 6-06