Digitalkamera

«Ist etwas unscharf, ich mach’ noch eines. Bleib’ dort stehen!» Meine Herzdame und momentanes Urlaubsmotiv versucht, ihre wahren Empfindungen zu verbergen und weiterzulächeln. «Jetzt ist ’s zu dunkel geworden. Ich mach’s von der anderen Seite aus.» Aber ohne mein Motiv, denn das Lächeln meiner Herzdame schwindet von ihren Lippen und sie aus meinem Umkreis. «Lies endlich die Anleitung!» höre ich noch.

Meinem Bestreben folgend, dem Zeitgeist auf der Spur zu bleiben – und um im Urlaub wieder einmal kreativ sein zu können, habe ich mir eine Digitalkamera zugelegt. «Qualitativ ein Topmodell für den ambitionierten Amateur und trotzdem einfach zu bedienen», hatte mir der Fachverkäufer versichert. Und mit einem verschwörerischen Unter-uns-Blick angefügt: «Ich hab’ auch so eine.»

Mit einem naturgegebenen Flair für technische Geräte gesegnet, liess ich die Bedienungsanleitung unberührt. Den Einschaltknopf hatte ich nach fünf Minuten auch ohne Hilfe entdeckt. Und mit bewährtem Try-and-Error-Vorgehen erschlossen sich mir auch die Funktionen der diversen, über die Kamera verteilten Rädchen, Knöpfchen und Hebelchen.

Jeder Tag unseres bisherigen Urlaubs wurde mit meiner neuen Errungenschaft dokumentiert. Ich beschliesse, meine Herzdame mit einer kleinen Bilderschau auf dem Kameramonitor wieder zu versöhnen. «Nicht schon wieder» stöhnt sie, darum wähle ich als Abwechslung einen mir bisher unbekannten Befehl aus, der sehr kreativ tönt: «Karte formatieren». Stolz halte ich ihr die Kamera hin. Ihr Kommentar fällt etwas hämisch aus: «Da steht ‹Keine Bilder vorhanden› – sehr schön».

publiziert im Journal 1-07