Schlitteln

«Dieses Plastikding soll ein Schlitten sein? Warum hast du denn keinen schönen Holzschlitten gekauft?» Meine Herzdame ist eher traditionell veranlagt. «Das ist die neueste Entwicklung. Er ist leichter und lässt sich besser lenken. Niemand fährt mehr einen ‹Davoser›», verteidige ich meine Neuerwerbung. Aber meine Stilfachfrau kann ihre ästhetischen Bedenken nicht unterdrücken: «Für mich sieht das eher aus wie ein Babyklo.» «Das ist ein solides Schweizer Produkt, und damit gehen wir jetzt auf die Piste», versuche ich die Diskussion zu beenden. Doch das letzte Wort hat wie immer sie: «Du sitzt vorne. Ich will nicht, dass man mich darauf erkennt.»

Wir sind nicht alleine auf der Schlittelbahn. Im Gedränge zwischen hundert anderen Konkurrenten suche ich einen Startplatz. Überall elegante Davoser Holzschlitten. Nur die Kinder und wir sitzen auf buntem Plastik.

Auf der Abfahrt ist’s auch nicht einsamer. Wir werden beidseitig mit lautem Gejohle überholt. Zu Letzterem trägt meine Hintermannschaft hörbar bei: Jede Kurve wird mir direkt ins Ohr angekündigt mit einem schrillen «Neeiiin!», die Geraden mit einem weit hörbarem «Langsaameeer!». Und dazwischen schreit meine Herzdame einfach so.

Nach knochenbrechenden zwanzig Minuten sind wir endlich unten angelangt. Ich erhebe mich ächzend und drehe mich zu meiner Herzdame um, krampfhaft nach besänftigenden Worten suchend für diese unmenschliche Marter. Sie strahlt: «Das war wirklich super! Gehen wir gleich noch mal?»

publiziert im Journal 1-10