Pendeln

«Ich bin auf dem Perron. Wo bist du?» «Ich warte nach der letzten Treppe beim Abfalleimer.» Zugfahren im abendlichen Berufsverkehr erfordert Koordination. Ausser Atem erreiche ich meine Herzdame, der Zug fährt ein.

«Komm weiter. Wir müssen links vom Eingang stehen. Da kommen wir schneller rein.» Mit grimmiger Miene drängt meine Zugangsexpertin zur Türe. Bei der ersten Lücke im Strom der Aussteigenden drängen wir hinein.

«Leg' deine Tasche auf den Platz, dann haben wir das Abteil für uns», weise ich meine Frontfrau an, während ich meine Jacke über zwei Sitze ausbreite.

«Man kann halt nicht auf die letzte Minute eintreffen und noch einen Platz erwarten.» Mit grimmiger Aura verteidigen wir unsere Sitzhoheit gegen die nach uns Hereinkommenden. «Rücksichtslos – mit so viel Gepäck in einem Pendlerzug!», ereifere ich mich, als eine ältere Frau ächzend versucht, ihren Koffer ins Gepäckfach zu hieven.

Der Zug fährt ab, und ich vertiefe mich in die Zeitung. «Immer dieses Geschwätz. Nie kann man in Ruhe lesen.» Meine Herzdame blickt bereits strafend in Richtung des Unruheherds.

«Pack' ein, wir sind gleich da», plant meine Herzdame eine Stunde später den Ausstieg. Wir stürmen als Erste aus dem Zug, rempeln Wartende an und hasten zur Treppe, um vor dem Gedränge aus dem Bahnhof zu kommen.

Gemütlich schlendern wir nach Hause. «Und wie ist's so mit dem Pendeln», fragen unsere Nachbarn im Treppenhaus. Wir antworten wie aus einem Mund: «Erholsam.»

publiziert im Journal 2-11