Musikhoheit

«Hast du nichts Fröhlicheres? Deine Depro-Musik zieht mich seelisch runter.» Meine Herzdame fleht durch die Badezimmertüre nach musikalischer Munterkeit.

«Ich kann mich bei dieser Musik wunderbar entspannen», verteidige ich meine Klangkulisse. «Im Moment ist mir nach Moll in einem heissen Schaumbad. Und nicht zu leise!»

Mit der am MP3-Player angedockten Mobilbox kann ich überall in der Wohnung meine Lieblingsmusik hören. Und ich mache es oft. Sehr zum Leidwesen meiner Herzdame, denn unsere Musikvorlieben weisen wenig Überschneidungen auf.

«Das Wetter ist schon traurig genug. Etwas Heiteres würde auch dir gut tun.» Sie wird psychologisch, doch ich ahne das Ziel. «Deine dauerfröhliche Funkmusik schlägt mir aufs Gemüt. Ich will sanfte Sounds und triste Töne!»

Sie zieht murrend ab. Ich lehne mich wohlig in der gefüllten Badewanne zurück und versinke in milder Melancholie. Plötzlich donnert ein mächtiges Bassgewitter über mich herein, gefolgt von einem wilden Schlagzeuginferno. Vor Schreck fällt mir der Massageschwamm ins Wasser.

In der nun einbrechenden Rhythmusflut erkenne ich das Lieblingsstück meiner Herzdame. Ich wälze mich aus dem Bad und suche tropfend die Quelle des Stilbruchs. Sie steht lächelnd in der Küche.

«Zum Backen brauche ich etwas Energievolles. Mit deiner Musik geht der Teig nicht auf.»

publiziert im Journal 1-12