Weihnachtsessen

«Gibst du mir den Pfeffer?» Bittend schaue ich meine Herzdame über den Esstisch an. Meine Mutter runzelt ihre Stirn. «Schmeckt es dir nicht?» «Leg den Gameboy weg!» Meine Schwester versucht, die Tischkultur ihres Sohnes zu retten. «Das ist ein iPhone, kein Gameboy!» Empört schaut dieser kurz auf und vertieft sich wieder in seine Hand.

«Doch, sehr gut», besänftige ich meine Mutter. «Ich mag halt Pfeffer.» «Die Vögel müssen die Schweine treffen.» Mein Neffe erklärt meiner Herz­dame sein Lieblingsspiel auf dem iPhone. «Leg das Ding endlich weg!» Seine Mutter versucht es nun mit Ent­schlossenheit. Ich auch: «Kann ich jetzt den Pfeffer haben?» Aber meine Herz­dame schiesst Vögel herum.

«Du nimmst doch noch eine Por­tion?» Meine Mutter reicht mir den er­neut gefüllten Teller. Ich nicke. Meine Herzdame kommentiert mitleidig: «Bei dem Bauch spielts auch keine Rolle mehr.» «Welcher Bauch?», frage ich und ziehe denselben ein. Mein Neffe hält mir sein iPhone hin. «Onkel Tho­mas hat einen Weihnachtsbauch», lese ich darauf. «Hab ich grad getwittert», erklärt er. «Du solltest seine Internet­aktivität einschränken», massregle ich meine Schwester. «Du hast ihm doch gezeigt, wie das funktioniert», entgeg­net sie. Ich widme mich meinem Teller.

«Du hast einen Fleck.» Meine Mutter zeigt auf meinen Bauch. «Weihnachts­bauch mit Fleck von Onkel Thomas!» Ein Foto meines verschmutzten und angespannten Hemds auf dem iPhone. Mein Neffe erläutert stolz: «Hab ich auf Facebook gepostet.» Meine Herzdame reicht mir den Pfeffer.

publiziert im Journal 1-14