Fernsehen
«Der fährt so wacklig auf dem Velo. Er wird einen schweren Unfall haben, ins Spital kommen und dort seine Jugendliebe treffen.» Meine Herzdame spürt bereits den weiteren Fortgang der Filmhandlung. Ich halte mit anerkannter Filmtheorie dagegen: «Das ist ein ‹comic relief›. Sein unsicheres Velofahren dient als Auflockerung der traurigen Stimmung. Er wird sich höchstens das Hosenbein aufreissen.»
Da kracht die Hauptfigur schon kopfüber in einen Baum, wird mit Blaulicht ins Spital transportiert und erkennt beim Erwachen aus dem Koma eine erstaunte Assistenzärztin wieder. «Die Filme werden langweilig, wenn du immer alles vorher weisst», beklage ich den Spannungsverlust. «Aber es macht Spass, versuch es doch auch mal!», fordert mich meine Herzdame heraus.
Ich analysiere: «Im Koma hatte er eine Erscheinung. Er wird religiös, verlässt seine Familie und wandert nach Tibet aus.» – «Interessant, aber nicht im Freitagabendprogramm.» Meine Herzdame schüttelt den Kopf. «Er beginnt eine Affäre mit der Ärztin, aber sein bester Freund bringt ihn zur Vernunft, und er kehrt wieder zu Frau und Kindern zurück. Die Ärztin und sein Freund werden ein Paar. Am Schluss gibt es ein Fest.»
Nach einer Viertelstunde ist klar, das sich mein Entwurf nicht durchsetzt. Entschlossen stehe ich auf. «Tibet wäre besser gewesen. Das schaue ich mir nicht auf nüchternen Magen an.» Meine Herzdame durchschaut aber auch hier meine nächsten Handlungen. «Holst Du mir auch ein Eis?»
publiziert im Journal 4-14