Vinyl
«Eine Originalpressung! Modern Jazz Quartet! Erstausgabe!» Stolz halte ich die neu gekaufte Schallplatte meiner Herzdame hin. Sie betrachtet die Hülle. «Für den Preis hättest Du drei CDs bekommen.» Empört nehme ich meine Beute wieder an mich. «Dafür musste ich mich durch hundert andere Platten wühlen. Das ist eine Rarität!»
Bedächtig schreite ich zum Plattenspieler. Ich ziehe mit spitzen Fingern die schwarze Scheibe aus der Hülle, lege sie auf den Plattenteller, schalte den Motor ein und setze vorsichtig den Tonarm auf. Fasziniert betrachte ich das sanfte Schwanken des Tonarms auf der gewellten Platte, andächtig lausche ich dem Knistern aus den Lautsprechern.
«Zum Anschauen finde ich es auch schöner.» Meine Herzdame nimmt sich wieder die Hülle. «Aber du warst immer froh, dass CDs nicht mehr rauschen und dass du nicht nach jeder Viertelstunde die Platte umdrehen musst.» Ich blicke immer noch gebannt auf die sich langsam drehende Platte. «Jetzt finde ich es sinnlich: das Knistern, das Zum-Plattenspieler-Laufen, das Berühren der Platte.» – «Sinnlich fände ich weniger Bauch bei dir.» Meine Herzdame sieht mich direkt an. «Aber vielleicht hilft ja das bisschen Bewegung.»
Ich lehne mich zurück und schwelge. «Toll, diese Qualität, obwohl die Aufnahme schon ein halbes Jahrhundert alt ist. Das Piano etwas links, das Vibraphon in der Mitte und leicht rechts der Bass. Man hört alles ganz genau.» Meine Herzdame runzelt die Stirn und schaut nochmals auf die Hülle. «Hier steht gross ‹Mono Recording›.»
publiziert im Journal 5-14